Montag, 17. Oktober 2016

Der Rückzug ist nichts für Feiglinge. Ein Retreat-Tagebuch.



Aufzeichnungen von einem Einzel-Retreat im Buddhistischen Zentrum in Möhra 



Sonntag Abend. 20 Uhr:

Ankunft in der Hütte am Waldrand. Keiner hier, außer mir. Nebenan im Meditationszentrum ebenfalls gähnende Leere. Das Abendessen ist vorbei. Ein beruhigender Gedanke, dass wenigstens während der Mahlzeiten Gesellschaft möglich ist. Der vorerst letzte Anruf zu Hause, dann bei meiner Mutter. Ihre Abschiedsworte sitzen: "Wie lange bist Du nicht zu erreichen? Fast eine Woche! Ach, deine arme Tochter!" 

Eben fühlte ich mich noch einigermaßen gut geerdet, jetzt bringt mich ein leiser Zweifel ins Wanken. Bin ich keine gute Mutter, wenn ich eigenen Bedürfnissen folge? Interessant, wie fragil unsere Geisteszustände sind. Im Alltag sind wir oft zu schnell, um zu bemerken, wie plötzlich unsere Stimmung umschlägt. Und selbst wenn es uns auffällt, dann halten wir diese Schwankungen auch noch für völlig normal. 

Hier fällt mir auf, wie viel ich dafür tun kann, dass andere stabil sind. Wie wichtig es ist, die eigenen Worte mitfühlend zu wählen. Wie oft sagen wir Dinge, die wir zwar nicht so meinen, die unserem Gegenüber aber trotzdem den Boden unter den Füßen wegziehen?





Montag Morgen. 7 Uhr:

Stille kann extrem laut sein. Auf meinem Meditationskissen wandere ich zu allem, was leise lärmt - dem Rascheln der Bäume, dem Rauschen des Windes, einem Traktor in weiter Ferne, Kühen, Vogelgezwitscher. Jedes Geräusch bekommt einen Stempel mit einem Namen. Der Geist bastelt sich die äußere Welt im Inneren, konstruiert Farben und Formen aus bereits Bekanntem und somit Abgespeicherten. 

Unterdessen sitze ich und versuche, immer wieder zum Atem zurückzukommen. Doch es ist absolut unmöglich, auf Knopfdruck vom Tun ins Sein zu wechseln. Meine innere Unruhe ist zu groß. Ich habe das Bedürfnis, tausend Dinge zu erledigen zu müssen. Dabei ist eines sicher: Hier gibt es definitiv nichts für mich zu tun, außer mich meinen Gewohnheiten zu stellen. Nur darum bin ich hier. Aber meine Muster haben mich fest im Griff. Obwohl ich nicht spreche, beschummele ich mich selbst mit dem Checken von eMails und Facebook. Einige Posts gehen mir auf die Nerven. Aber wenn es uns doch ärgert, warum setzen wir uns Angeboten wie sozialen Medien oder Fernsehen dann überhaupt aus? 

Die kleine innere Anspannung bleibt den ganzen Tag, mich fröstelt, um 20 Uhr liege ich mit drei Decken und einer Strickjacke über dem Pyjama im Bett. 





Dienstag, 10 Uhr:

Vier bis fünf Stunden tägliches Sitzen fühlen sich immer selbstverständlicher an. Ja, ich würde sogar sagen: irgendwie vertraut. Die Unruhe ist einem neutralen Gefühl gewichen. Es gibt weder gut, noch schlecht - nur den Wunsch weiter zu beobachten, ohne gleich jedem Impuls nach Ablenkung wie ferngesteuert zu folgen. Die Momente des Austausches mit anderen sind selten, aber intensiv. Niemand hat das Bedürfnis nach Smalltalk. Das Schweigen entlastet und verbindet uns in den Augenblicken, in denen es nichts zu sagen gibt. 


Mittwoch, 12.30: 

Nach dem Mittagessen trudeln die ersten Teilnehmer des nächsten Seminars im Zentrum ein. Das muntere Plappern fühlt sich gerade etwas fremd an. Ich mache einen Waldspaziergang, nehme zur Kenntnis, dass der Wunsch, meinen eigenen Dämonen "Hallo" zu sagen verbunden ist mit großer Durchlässig- und Dünnhäutigkeit. Ich erinnere mich an ein Zitat des buddhistischen Lehrers Trungpa Rinpoche: "Komm begleite mich ein Stück in meiner Traurigkeit!"

Plötzlich schmerzt es zu sehen, wie wir alle uns immer wieder davonstehlen, wenn die Erfahrung zu intensiv wird. Dann ballern wir uns zu mit Zerstreuung - mit einem Spaziergang, Gesprächen, Büchern, neuen, großartigen Ideen für unsere Zukunft, mit Kino oder dem Internet. Und das alles nur, um eines zu überdecken: das Gefühl, dass wir nichts, aber auch gar nichts in unserem Leben im Griff haben.

Auf einer Bank mit dem Blick übers Tal gebe ich dem Bodenlosen Raum - ohne dabei (im Selbstmitleid) zu versacken. Für einen Moment gebe ich auf, ein winziger Augenblick in dem ich sehe, dass all der Kampf um Kontrolle ins Leere laufen muss. Für den Bruchteil einer Sekunde entspanne ich mich und übe Vertrauen ins Ungewisse. Dann ist der kostbare Moment schon wieder vorbei, und die Erfahrung nur noch Erinnerung. 


Donnerstag, letzter Tag des Einzel-Retreats:

Der friedliche Zustand wirkt nach, obwohl ich mit den Gedanken längst wieder beim kommenden Alltäglichen bin. Aufgeben und entspannen - als Konzept ist es nichts, als Erfahrung alles. Ich sehe, dass die Tür zum Sein so lange verschlossen bleibt, wie wir versuchen, sie mit viel Tun und großer Kraftanstrengung zu öffnen. Ich weiß auch, dass ich mich noch viel zu sehr anstrenge. Trotzdem bin ich glücklich. Mit jeder echten Erfahrung fern von Ablenkung wächst das Vertrauen. Ich bleibe dran, ohne Druck aber mit Disziplin. 

Montag, 10. Oktober 2016

Warum ich auf die Idee kam, ein Yogastudio zu eröffnen...



Liebe Yogafreunde,

danke, dass Ihr so zahlreich auf der Mandala-Geburtstagsfeier erschienen seid! Hier sind ein paar der schönen Fotos. Lieber Hans Erdinger, vielen Dank! Mehr Bilder findet Ihr auf unserer Mandala-Seite http://mandala-yoga-fuerstenwalde.de/galerie/index.html

Wenn Ihr nicht dabei sein konntet, aber wissen möchtet, wie ich auf die Idee kam, ausgerechnet ein Yogastudio aufzumachen, dann könnt Ihr hier die kleine Ansprache nachlesen. 

Warum gibt es Mandala Yoga? Vielleicht sind Euch im Studio die wundervollen Fotos von meiner langjährigen Freundin Katalin Erdinger aufgefallen. Für solche Bilder braucht es Geduld und die Bereitschaft, genau hinzuschauen, statt schnell und automatisiert auf den Auslöser zu drücken. Katalin hat sich dafür entschieden, als Fotografin unabhängig zu sein. Nicht auf Masse zu produzieren, sondern mit offenem Geist auf den einen Moment zu warten, der für sie dieses Foto von anderen Bildern abhebt.



Unabhängigkeit bedeutet für jeden etwas anderes. Und ich kann für mich sagen, dass ich den Begriff vor ein paar Jahren noch vollkommen anders definiert habe als heute.

Mit 20-30 ist Unabhängigkeit, alles anders zu machen als die Eltern, möglichst wenig zu tun, nur weil man es eben so macht. Damals habe ich definitiv den Rausch mit Freiheit verwechselt.

Wir sind Fallschirm gesprungen – und in dem Moment als die Tür aufging und der Pilot sein „Go, go, go!“ brüllte, fühlte ich mich ziemlich frei. Aber um ganz ehrlich zu sein, ich war gar nicht cool. Ich hatte immer heimlich Angst um mein Leben, das sich mit Mitte 20 anfühlte, als würde es - zumindest ohne einen folgenschweren Absturz - noch ewig dauern.

Zum Glück waren zumindest bislang nur ein paar kleinere Abstürze auf der Suche nach der Freiheit eingepreist. Und jeder, der nicht immer gleich nach dem ersten Glas Wein ins Bett geht, weiß, dass sich Grenzenlosigkeit bis zu einem bestimmten Moment sehr gut anfühlt. Dann kommt der Augenblick, wo es kippt – bis der Kater kläglich und gar nicht mehr heldenhaft mauzt.

Dann gab es auch noch die Idee von der Freiheit durch den richtigen Beruf, das nötige Kleingeld und den passenden Partner. Irgendwann ist das alles da – aber warum fühlen wir uns trotzdem nicht frei?


Auf der Yogamatte hörte das Gemurmel im Kopf schlagartig auf. 
Kein ständiges Bewerten der Situation, kein Abgleichen mit Erfahrungen von irgendwann, keine Selbstkritik. Nur die Konzentration auf den Atem. Und die Erkenntnis: Ich muss nicht alles wissen, ich muss auch nicht perfekt sein. Ich bin o.k. – und die anderen sind es auch.

Für mich ist Freiheit heute nicht Rausch, sondern Ruhe. Eine Stille, die nicht behäbig, nicht träge ist, sondern ganz klar. Kein Hype (Yoga ist kein Wundermittel, sondern Arbeit). Keine Illusion (Wer Ferrari fahren muss, sollte nicht Yogalehrer werden…). Es geht um den Moment. Jetzt! Nicht irgendwann! Wegen dieser Klarheit und dem Wunsch, dass es anderen ähnlich gehen möge, gibt es jetzt seit fast fünfeinhalb Jahren Mandala Yoga in Fürstenwalde.  

Ein bisschen Statistik: Zu Beginn habe ich zwischen 80 und 100 Yogastunden pro Monat verkauft. Es gab gut 40 regelmäßig praktizierende Yogis und Yoginis. Manchmal kamen zwei Schüler in die Kurse, manchmal gar keiner. Dann habe ich die Tür geschlossen und Yoga geübt. Ich habe meinen Frust akzeptiert und die Angst, dass Mandala Yoga vielleicht doch ein Fehler gewesen sein könnte.

Heute zählt Mandala Yoga rund 280 Teilnahmen im Monat, es gibt knapp 200 regelmäßig übende Schüler. An manchen Abenden ist der Raum mit 23 Gästen brechend voll. 

Yoga ist der Anfang, sozusagen eine gute Ausrüstung für unsere Reise in die Freiheit. Ist unser Körper erst einmal vorbereitet, beginnt die eigentliche Arbeit mit dem Geist. Lassen wir uns von den Gedanken wegtragen oder bleiben wir hier? Sehen wir, was wirklich ist oder bewerten wir aus Erlerntem, Konditionierungen und alten abgespeicherten Erfahrungen? 
In der Neurobiologie hat man herausgefunden, dass wir innerhalb von drei Sekunden einen Menschen beurteilen nach freundlich oder unsympathisch. Drei Sekunden? Da wird schnell klar, dass wir nur abrufen, gar nicht wirklich sehen können - unser Geist setzt die fehlenden Elemente einfach eigenmächtig dazu. 

Jede Situation ist neu – wir haben also täglich die Chance zu üben. Nicht nur auf der Matte. So bleiben wir alle immer Schüler, egal, wie perfekt unser Körper die Asanas ausführen kann.

Viktor Frankl, Psychiater und Überlebender des Holocaust, beschreibt das so: „Zwischen Stimulus, Reiz, und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum ist unsere Macht, unsere Reaktion zu wählen.“

Und ich möchte hinzufügen: Meinem eigenen, ausgefuchsten Geist nicht auf den Leim zu gehen: Das macht mich wirklich frei!