Montag, 4. April 2016

Tautropfen in einem Spinnennetz - Über Dankbarkeit

Liebe Yogafreunde,

der Urlaub ist schon wieder vorbei, das Kind ist verschnupft, vor der Waschmaschine türmen sich die Wäscheberge. An einem durchschnittlichen Montagmorgen halte ich mich an Belanglosigkeiten auf. Dabei ist es nur ein kleiner Schritt, um aus dem gefühlten Mangel in die Fülle zu wechseln.
Es reicht ein Moment der Dankbarkeit: dafür, dass mich warmherzige Menschen in meinem Urlaub umsorgt haben, dafür, dass es hervorragende Kinderärzte gibt (auch wenn ich sie mit einer Rotznase nicht behellige). Dafür, dass ein kluger Kopf die Waschmaschine erfunden hat, andere sie produzierten und ich nur einen Knopf drücken muss, damit sie jetzt in meiner Küche im Dauerbetrieb rumpelt.
Nichts existiert getrennt voneinander. Wir hätten nichts anzuziehen ohne Menschen, die unsere Kleidung produzieren. Wir hätten nichts zu essen ohne die Bauern, keine Möbel ohne Tischler... Fernöstliche Philosophien benutzen das Bild von Tautropfen in einem Spinnennetz. Jedes winzig-schimmernde Juwel spiegelt sich unentwegt in all den anderen.


 
Und doch fällt es uns so schwer, dankbar zu sein. Kein Wunder, wurden wir doch erzogen im Irrglauben an die Eigenständigkeit des kleinen Ichs. Wer viel hat, gilt viel. Aber ohne den Einsatz der anderen, nutzt uns auch unser Vermögen nichts. Zumindest kann ich persönlich mir nur sehr schwer vorstellen, auf einem abgegriffenen 500-Euro-Schein rum zu kauen. Und ich bezweifle auch, dass er satt macht.
Dankbarkeit macht uns zu glücklicheren, freigiebigeren Menschen. Das bestätigt die Wissenschaft seit längerem. An einer aktuellen Studie einer US-Universität nahmen 43 Probanden teil, alle in Behandlung wegen Ängsten und Depressionen. 22 von ihnen wurden gebeten, innerhalb von drei Wochen mehrere Dankesbriefe an Menschen zu schreiben, die ihnen in schwierigen Zeiten zur Seite gestanden hatten. Den Teilnehmern wurde freigestellt, die Briefe abzuschicken oder auch nicht. Die andere Gruppe tat unterdessen nichts.
Anschließend bekamen alle Teilnehmer unter dem Hirnscanner eine Aufgabe. Ihnen wurde mitgeteilt, sie bekämen Geld von einem Gönner. Der Spender ließ in einer Videobotschaft ausrichten, die Probanden sollten selber entscheiden, ob sie alles Geld selber behalten oder aus Dankbarkeit einen Teil der Summe an Bedürftige weitergeben wollten.

Die Teilnehmer wussten, dass das nur ein Experiment ist. Allerdings teilten die Forscher ihnen mit, eine dieser Transaktionen würde, zufällig ausgewählt, tatsächlich stattfinden. Für diese Transaktion würden sie also wirklich Geld bekommen – oder weitergeben.

Die Ergebnisse sind spannend:

Je mehr Geld eine Person weggab und je stärker bei ihr die Gefühle von Dankbarkeit waren, umso aktiver waren verschiedene Hirnregionen. Und zwar im Frontallappen, dem Sitz von Persönlichkeit und sozialem Verhalten; im Parietallappen, zuständig für Sensorik und Motorik und im für das Sehen verantwortlichen Okzipitallappen.

Die Hirnaktivitäten verliefen anders als zum Beispiel bei Empathie-Experimenten. Dankbarkeit ist also eine eigene, einzigartige Emotion.

Wer Monate zuvor einen Dankbarkeits-Brief geschrieben hatte, berichtete noch zwei Wochen nach dem Gönner-Experiment von mehr Dankbarkeit als die anderen und zeigte sogar Monate später im Hirnscanner mehr Dankbarkeits-bezogene Aktivitäten. Betroffen davon war auch jene Region, die für uns abschätzt, welche Auswirkungen unser eigenes Verhalten auf unsere Mitmenschen haben wird.
Dankbarkeit ist ein Muskel. Je mehr sie zum Einsatz kommt, umso stärker bilden sich entsprechende Strukturen im Gehirn. Je mehr wir heute bewusst Dankbarkeit üben, umso stärker werden wir sie in Zukunft spontan wahrnehmen.
Die Forscher betonen, Dankbarkeit ist selbsterhaltend - eine Art heilsam singendes Perpetuum Mobile im Kopf: Je mehr wir uns mit ihr verbinden, umso vertrauter wird uns ihre Melodie, bis das Hirn sie schließlich ganz von selbst singt, was die gesunden Auswirkungen noch vervielfacht. 

Mögen wir den Muskel Dankbarkeit ordentlich trainieren! Raus aus der kleinmütigen Enge! Rein in ein Leben als juwelenartig schimmernder Tautropfen im unendlich großen Spinnennetz!

Eure Beate

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